Stadtbericht
Wiesbaden
Gut 30 Prozentpunkte machen in Sachen Wahlbeteiligung den Unterschied zwischen den Ortsbezirken Amöneburg und Heßloch. In wählerschwachen Gegenden sind die Lebensverhältnisse stets prekärer als in den Wählerhochburgen: der Anteil der ökonomisch schwächeren Milieus liegt über 40-mal so hoch. Bald fünfmal so viele Menschen sind ohne Arbeit.
Mit 69,8 Prozent lag die Wahlbeteiligung in Wiesbaden leicht unter dem Bundesdurchschnitt (71,5). Darüber hinaus verbirgt sich auch in Wiesbaden hinter dem gesamtstädtischen Durchschnittswert eine erhebliche soziale Ungleichheit bei der Wahlbeteiligung. Während in gut situierten Stadtvierteln nach wie vor überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen, sind die sozial schwächeren Stadtviertel die Hochburgen der Nichtwähler.
Wo die Nichtwähler wohnen ...
Am niedrigsten lag die Wahlbeteiligung mit 58,3 Prozent im von Industrie geprägten Amöneburg. Zwei Fünftel der Haushalte gehören hier allein dem Einzelmilieu der Hedonisten an; gemeinsam mit Traditionellen und Prekären stellen die ökonomisch schwächeren Milieus hier rund 80 Prozent der Haushalte. Während die Milieus der mittleren Schicht die restlichen Anteile stellen, sind die sozial Privilegierten nicht vertreten. Lediglich ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt die Hochschulreife, rund zwei Drittel weisen Haupt- und Realschulabschlüsse auf; gut 15 Prozent besitzen keinen Abschluss. Die Arbeitslosigkeit vor Ort zählt zu den höchsten Wiesbadener Werten. In Sachen Bebauung dominieren klar die Mehrparteienhäuser.
Kaum höher lag mit bescheidenen 59,1 Prozent die Wahlbeteiligung im nordwestlichen Ortsbezirk Klarenthal. Hier prägen die Traditionellen mit gut 30 Prozent die gesellschaftlichen Verhältnisse, hinzu kommt gut ein Drittel an Prekären und Hedonisten.
Lediglich das Milieu der Bürgerlichen Mitte erreicht noch den zweistelligen Prozentbereich (13 Prozent), während sonstige Vertreter der mittleren und oberen Schichten allenfalls mit niedrigen einstelligen Anteilen vertreten sind. Im Bildungsprofil weist Klarenthal einen unterdurchschnittlichen Anteil an Menschen mit Hochschulreife sowie eine breite Mehrheit mit Haupt- und Realschulabschlüssen auf. Es suchen ähnlich viele Menschen nach Arbeit wie in Amöneburg – rund jeder Zehnte. Eine Mehrzahl von fast 60 Prozent der Haushalte ist in größeren Wohnblöcken und Hochbauten angesiedelt; kleinere Mehrparteien- sowie Ein- bis Zweifamilienhäuser sind nur selten vorhanden.
In leicht abgeschwächter Form ist auch für Ortsbezirke wie Kostheim, Dotzheim und Erbenheim das Muster aus niedriger Wahlbeteiligung und schwächerem Sozialprofil erkennbar.
… wo die Wählerhochburgen sind …
Den Wiesbadener Spitzenwert hingegen erzielte der Ortsbezirk Heßloch mit einer Wahlbeteiligung von 88,5 Prozent. Das Einzelmilieu der Konservativ-Etablierten dominiert hier mit einem Anteil von nahezu 40 Prozent. Gemeinsam mit Liberal-Intellektuellen und Performern erreichen die drei ökonomisch stärksten Milieus eine Mehrheit von 60 Prozent. Die verbleibenden gut zwei Fünftel entfallen fast vollständig auf die verschiedenen Milieus der mittleren Schichten: Bürgerliche Mitte, Pragmatisch-Adaptive, Sozialökologische. Fachabitur und allgemeine Hochschulreife sind hier sogar häufiger zu finden als Haupt- und Realschulabschlüsse, die Zahl der fehlenden Abschlüsse liegt auf niedrigem Niveau. Für das Jahr 2012 wurde die Arbeitslosigkeit vor Ort in der kommunalen Statistik tatsächlich mit null veranschlagt. Mit über 60.000 Euro je Haushalt liegt die durchschnittliche jährliche Kaufkraft zudem auf sehr hohem Niveau. Die Mehrheit der Haushalte entfällt auf private Wohnhäuser, alle restlichen sind in kleineren bis allenfalls mittleren Mehrfamilienhäusern untergebracht.
Im nördlichen Naurod lag die Wahlbeteiligung mit 83,2 Prozent ebenfalls deutlich über dem Durchschnitt. Auch hier stellen die Milieus der Konservativ-Etablierten, Liberal-Intellektuellen und der mit rund einem Zehntel vertretenen Performer eine deutliche Mehrzahl von über drei Fünfteln der Haushalte. Die verbleibenden zwei Fünftel verteilen sich auf mittlere Milieus, während Traditionelle, Prekäre und Hedonisten fast gar nicht vertreten sind. Mit geringen Unterschieden entspricht die Verteilung der Schulabschlüsse jener aus Heßloch. Die Zahl der Arbeitslosen liegt auf dieser kleinräumigen Ebene an der Schwelle zur Vollbeschäftigung, die Kaufkraft liegt ebenfalls hoch. Knapp die Hälfte der Haushalte lebt in Privathäusern oder Doppelhaushälften, hinzukommen über zwei Fünftel in Mehrfamilienhäusern.
Auch in anderen eher gehobenen Ortsbezirken wie Sonnenberg, Auringen und Breckenheim liegt die Wahlbeteiligung auf äußerst hohem Niveau.
… und wo die Wahlbeteiligung im Durchschnitt liegt
Dem städtischen Durchschnitt am nächsten kommt der Ortsbezirk Schierstein mit einer Wahlbeteiligung von 68,5 Prozent. Größtes Einzelmilieu ist hier die Bürgerliche Mitte mit rund 23 Prozent, gefolgt von den Traditionellen mit 22 Prozent. Charakteristisch für diesen Stadtteil ist die Präsenz aller Schichten. So sind neben gut einem Fünftel Prekären und Hedonisten auch die sozial stärksten Milieus der Konservativ-Etablierten, Liberal-Intellektuellen und der Performer mit einem Gesamtanteil von 15 Prozent vertreten. Hinsichtlich der Schulabschlüsse kommt Schierstein eine Mittelstellung zu: Neben einer Drei-Fünftel-Mehrheit an Haupt- und Realschulabschlüssen sind auch Abitur und Fachhochschulreife mit über 30 Prozent solide vertreten.
Auch der Arbeitslosenanteil liegtmit gut fünf Prozent im gemäßigten Bereich und stärkt das Bild eines Ortsbezirks nahe am städtischen Durchschnitt. Dazu kommt, dass eine klare Mehrheit der Haushalte Mehrparteienhäusern mittlerer Größe bewohnt, während sowohl private Eigenheime als auch größere Mietshäuser und Hochbauten jeweils weniger als ein Fünftel der Haushalte auf sich vereinen.
Die Bezirke Mitte und Medenbach sind weitere Beispiele für Ortsbezirke mit einer gemäßigten Wahlbeteiligung.
Fazit
Die Wahlbeteiligung ist auch in Wiesbaden – wie in allen anderen untersuchten Großstädten Deutschlands – sozial gespalten. Während in sozial besser situierten Stadtteilen überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht ausüben,
ziehen sich in den ökonomisch schwächeren Vierteln viele Menschen aus der demokratischen Teilhabe zurück. Das Wahlergebnis der Bundestagswahl 2013 ist deshalb auch in Wiesbaden, gemessen an der Sozialstruktur der Bevölkerung, nicht repräsentativ.