Wahlbeteiligung

Chemnitz

Der sonntägliche Gang zum Wahllokal ist in Chemnitz eine soziale Frage. Erreichte die Beteiligung an der Urnenwahl in wohlsituierten Stadtteilen Höchstwerte, fiel sie in Quartieren mit schwierigeren Lebensverhältnissen umso niedriger aus. Wo die wenigsten ihre Stimme abgaben, stammen durchschnittlich dreimal so viele Haushalte aus ökonomisch schwächeren Milieus, der Anteil jener ohne Schulabschluss liegt um 70 Prozent höher. Zwischen vier- und fünfmal so viele Menschen sind ohne Erwerb.

Mit 67,5 Prozent lag die Wahlbeteiligung in der Stadt Chemnitz unter dem Bundesdurchschnitt (71,5). Darüber hinaus verbirgt sich auch in Chemnitz hinter dem gesamtstädtischen Durchschnittswert eine stark ausgeprägte soziale Ungleichheit bei der Wahlbeteiligung, obwohl für diese Studie nur die Urnenwähler berücksichtigt werden konnten. Die Urnenwahlbeteiligung lag für die Gesamtstadt bei 53,0 Prozent. Eine Einbeziehung der Briefwähler hätte – wie die entsprechenden Analysen anderer Großstädte zeigen – die soziale Spaltung der Wählerschaft noch verschärft. Insgesamt zeigt sich auch für Chemnitz: Während in gut situierten Stadtvierteln nach wie vor überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen, sind die sozial schwächeren Stadtviertel die Hochburgen der Nichtwähler.

  • Sonnenberg 45 %
    Kleinolbersdorf-Altenhain 63,3 %

  • Hutholz 46,5 %
    Rabenstein 63,1 %

  • Chemnitz-Gesamtstadt 53 %
    Harthau 52,9 %

Wo die Nichtwähler wohnen ...

Weit unterdurchschnittlich lag die Urnenwahlbeteiligung mit gerade einmal 45 Prozent im Stadtteil Sonnenberg – aus der Zahl der ausgestellten Wahlscheine geht außerdem hervor, dass die Briefwahl die schwache Beteiligung im Wahllokal im Stadtvergleich kaum wettgemacht hat. Über ein Viertel der Haushalt ist hier dem Einzelmilieu der Hedonisten zuzurechnen; hinzu kommen annähernd so viele Prekäre. Gemeinsam mit den Traditionellen stellen die ökonomisch schwächsten Milieus eine Mehrheit von fast drei Fünfteln der Haushalte. Erst dahinter folgen sonstige Milieus wie die Pragmatisch-Adaptiven (14 Prozent) sowie weitere Milieus der mittleren und seltener der höheren Schichten. Im Bildungsprofil herrschen vor allem einfache und mittlere Schulabschlüsse vor, während der Anteil der (Fach-)Hochschulreife sehr niedrig ausfällt. Sehr hoch liegt auch der Anteil an Menschen ohne Schulabschluss (16 Prozent). Der Arbeitslosenanteil ist der höchste in ganz Chemnitz, die Kaufkraft wiederum die niedrigste. Im Straßenbild dominieren einerseits traditionelle mehrstöckige Mehrparteienhäuser, andererseits Wohnblöcke im Plattenbauviertel.

Im südlich gelegenen Hutholz warfen – bei nachweislich vergleichsweise geringer Briefwählerquote – am Wahltag ebenfalls nur 46,5 Prozent der Menschen ihren Stimmzettel ein. Prekäre und Hedonisten stellen hier gemeinsam mehr als zwei Drittel der Haushalte. Während die ökonomische Mittelschicht den Großteil der verbleibenden Haushalte einnimmt, sind die oberen Schichten kaum vertreten. Die Verteilung der Schulabschlüsse ähnelt stark dem Sonnenberger Muster. Mit rund zwölf Erwerbslosen auf 100 Erwerbsfähige liegt die Arbeitslosigkeit am oberen Ende der Chemnitzer Statistik. Der überwiegende Großteil der Menschen in Hutholz lebt in Mehrparteienhäusern und Wohnblöcken, vereinzelt auch in Hochbauten.

Ein ähnliches Muster von niedriger Urnenwahlbeteiligung und schwächerem Sozialprofil weisen Stadtteile wie Helbersdorf oder Kapellenberg auf.

… wo die Wählerhochburgen sind …

Ein völlig anderes Bild zeigt sich dagegen im Stadtteil Kleinolbersdorf-Altenhain: Bereits 63,3 Prozent der Wahlberechtigten nahmen hier an der Urnenwahl teil, nach Hinzunahme der Briefwähler würde aller Wahrscheinlichkeit fast 80 Prozent Wahlbeteiligung erreicht. Annähernd die Hälfte der Haushalte wird von der Bürgerlichen Mitte gestellt, über ein Viertel entfallen auf Performer und Liberal-Intellektuelle. Lediglich etwa jeder siebte bis achte Haushalt gehört hier dagegen den materiell schwächeren Milieus an. Unter den Schulabschlüssen stellt die allgemeine Hochschulreife den größten Einzelanteil; Haupt- und Realschulabschlüsse sind von Hutholzer oder Sonnenberger Zwei-Drittel-Mehrheiten deutlich entfernt. Im Stadtteil finden sich zudem nur sehr wenige Erwerbslose: Rein zahlenmäßig herrscht in diesem kleinen Bereich der Stadt Chemnitz annähernd Vollbeschäftigung. Spitzenwerte dagegen erreicht die Haushaltskaufkraft mit jährlich über 50.000 Euro. Zwei Drittel der Haushalte haben sich in Ein- und Zweifamilienhäusern eingerichtet.

Auch im Stadtteil Rabenstein waren am 22. September hohe 63,1 Prozent der Wahlberechtigten in den Wahllokalen anzutreffen. Die Haushalte dieses Stadtteils entstammen allein zu über 35 Prozent den ökonomisch stärksten Milieus der Liberal-Intellektuellen, Performer und Konservativ-Etablierten. Zudem finden sich eine starke Bürgerliche Mitte (30 Prozent) und weitere, kleinere Milieus der Mittelschicht. Nur gut jeder fünfte Haushalt ist den drei schlechter gestellten Milieus zuzurechnen. Starke 30 Prozent beträgt der Anteil der Hochschulreife, rund das Doppelte im Vergleich zu den Werten der wählerschwachen Stadtteile. Die Arbeitslosigkeit liegt weiterhin in der unteren Hälfte des einstelligen Bereichs, die Kaufkraft ist deutlich überdurchschnittlich. Fast einer von zwei Haushalten ist zudem in Privat- oder Zweifamilienhäusern angesiedelt, während sich ansonsten viele kleinere bis mittlere Mehrfamilienhäuser finden lassen.

Auch in Stadtteilen wie Rottluff oder Reichenhain geht eine vergleichsweise hohe Urnenwahlbeteiligung mit gehobenen Lebensverhältnissen einher.

… und wo die Wahlbeteiligung im Durchschnitt liegt

Nahezu im städtischen Mittelwert liegt hingegen die Urnenwahlbeteiligung im südlichen Harthau mit 52,9 Prozent. Gemessen an den Wahlscheinen sollte sich auch mit Briefwählern die Gesamtbeteiligung in Richtung des städtischen Schnitts bewegen. Äußerst divers stellt sich hier die Milieuverteilung dar: Einerseits stellen die Hedonisten gut ein Drittel der Haushalte, gefolgt von knapp einem Viertel an Haushalten der Bürgerlichen Mitte. Andererseits entfallen gut 16 Prozent auf die ökonomisch privilegierten Milieus.

In Sachen Bildung trifft die (Fach-)Hochschulreife mit einem stabilen Anteil von rund einem Viertel auf zwei Drittel an einfachen und mittleren Abschlüssen. Deutlich höher als in den Wählerhochburgen, jedoch weit von Chemnitzer Höchstwerten entfernt, präsentiert sich die Arbeitslosigkeit mit rund sechs Erwerbslosen auf 100 Erwerbsfähige. Im Straßenbild dominieren die Mehrfamilienhäuser kleinerer bis mittlerer Größe knapp vor den Eigenheimen.

Fazit

Die Wahlbeteiligung ist auch in Chemnitz – wie in allen anderen untersuchten Großstädten Deutschlands – sozial gespalten. Während in sozial besser situierten Stadtteilen überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht ausüben,

ziehen sich in den ökonomisch schwächeren Vierteln viele Menschen aus der demokratischen Teilhabe zurück. Das Wahlergebnis der Bundestagswahl 2013 ist deshalb auch in Chemnitz, gemessen an der Sozialstruktur der Bevölkerung, nicht repräsentativ.