Stadtbericht

Lübeck

In Lübeck täuscht der Wegfall der Briefwähler über die noch größeren Dimensionen der demokratischen Spaltung hinweg. Dennoch zeichnet sich die Spitze des Eisbergs bereits deutlich ab: in den wählerschwächsten Stadtteilen gehören rund viermal so viele Haushalte den ökonomisch schwächeren Milieus an, fast doppelt so viele Menschen haben keinen Schulabschluss. Viermal so viele Erwerbsfähige sind von Arbeitslosigkeit betroffen.

Mit 68,6 Prozent lag die Wahlbeteiligung in der Stadt Lübeck unter dem Bundesdurchschnitt (71,5). Darüber hinaus verbirgt sich in Lübeck hinter dem gesamtstädtischen Durchschnittswert eine stark ausgeprägte soziale Ungleichheit bei der Wahlbeteiligung, obwohl für diese Studie nur die Urnenwähler berücksichtigt werden konnten. Die Urnenwahlbeteiligung lag für die Gesamtstadt bei 54,1 Prozent. Eine Einbeziehung der Briefwähler hätte – wie die entsprechenden Analysen anderer Großstädte zeigen – die soziale Spaltung der Wählerschaft noch verschärft. Insgesamt zeigt sich auch für Lübeck: Während in gut situierten Stadtvierteln nach wie vor überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen, sind die sozial schwächeren Stadtviertel die Hochburgen der Nichtwähler.

  • Moisling 49,3 %
    St. Jürgen 58,3 %

  • Buntekuh 50,0 %
    Travemünde 56,8 %

Wo die Nichtwähler wohnen ...

Am niedrigsten lag die Urnenwahlbeteiligung im Stadtteil Moisling, wo nicht einmal jeder zweite Wahlberechtigte an die Urnen ging (49,3 Prozent Wahlbeteiligung). Nicht nur bei der Bereitschaft zur demokratischen Teilhabe, auch bei anderen Sozialindikatoren und der Milieustruktur gehört das Viertel zu den schwierigsten Lübecks. Nirgends sonst ist der Anteil der sozial prekären Milieus an den Gesamthaushalten – insgesamt fast vier Fünftel – so hoch wie hier. Mit über 40 Prozent der Haushalte stellen die Hedonisten mit Abstand die größte Einzelgruppe dar. Auch im Bildungsbereich schneidet Moisling schlecht ab: Ob nun die (Fach-)Abiturquote (17 Prozent) oder der Anteil der Menschen ohne Schulabschluss (16 Prozent) – in keinem anderen Lübecker Stadtteil gestaltet sich die Bildungslage derart prekär. Die Arbeitslosigkeit, von der etwa jeder achte Erwerbsfähige betroffen ist, ist hier ebenfalls stadtweit am höchsten. Die Kaufkraft zählt mit rund 30.000 Euro pro Haushalt in dem überwiegend von größeren Miets- und Hochhäusern geprägten Viertel zu den niedrigsten der Hansestadt.

Im benachbarten Stadtteil Buntekuh lag die Beteiligung an der Urnenwahl nicht viel höher und erreichte ziemlich genau 50 Prozent. Die soziale Lebenswirklichkeit gleicht der prekären Lage in Moisling in vielerlei Hinsicht. Zwar fällt hier mit etwa zwei Dritteln der Anteil der sozial benachteiligten Milieus an den Gesamthaushalten etwas niedriger aus (die Hedonisten stellen mit rund 30 Prozent erneut die größte Einzelgruppe), das Bildungsprofil gestaltet sich jedoch nur unwesentlich positiver (Anteil ohne Schulabschluss 15 Prozent; (Fach-)Abiturquote 19 Prozent). Hinsichtlich seiner Arbeitslosenzahlen und seiner Kaufkraft zählt Buntekuh ebenfalls zu den Schlusslichtern der Stadt. Die Bebauung ähnelt insgesamt gesehen sehr stark dem in Moisling vorherrschenden Stadtbild.

… wo die Wählerhochburgen sind …

Eine vollständig andere Lebenswelt findet man im südlichen Stadtteil St. Jürgen vor, der mit 58,3 Prozent die höchste Beteiligungsquote an der Urnenwahl aufweist. Prägend sind für dieses Viertel die oberen und mittleren Milieus, die jeweils zu etwa gleichen Teilen vorhanden sind. Etwas weniger als 30 Prozent der Bewohner verfügen über die (Fach-)Hochschulreife, jeder Zehnte hat hingegen gar keinen Schulabschluss. Mit vier von 100 Erwerbsfähigen auf Arbeitssuche erreicht die Arbeitslosigkeit den niedrigsten Wert Lübecks, während die Kaufkraft mit knapp unter 40.000 Euro stadtweit am höchsten ist. Das Stadtbild wird vorwiegend von kleineren und mittleren Wohnhäusern geprägt.

Ähnlich hoch war die Bereitschaft zur Urnenwahl im Ostseeheilbad Travemünde (56,8 Prozent). Auch sonst ähneln sich beide Stadtteile: Mittlere und obere Schichten stellen zusammen klar die Mehrheit der Haushalte. Besonders stark vertreten sind hier die Bürgerliche Mitte (etwa ein Drittel der Haushalte) und die Konservativ-Etablierten (ein Viertel). Die Verteilung der Bildungsabschlüsse gleicht der vorhandenen Struktur in St. Jürgen bis ins Detail, der Anteil der Menschen ohne Schulabschluss ist sogar noch niedriger. Mit etwa fünf Prozent liegt auch hier die Arbeitslosigkeit unter dem stadtweiten Durchschnitt, während die Kaufkraft nur geringfügig niedriger ausfällt als beim Spitzenreiter im Süden Lübecks. Charakteristisch ist auch hier der hohe Anteil an Ein- und kleineren Mehrfamilienhäusern.

… und wo die Wahlbeteiligung im Durchschnitt liegt

Sehr durchschnittlich fällt hingegen die Urnenwahlbeteiligung im Stadtteil Schlutup aus (53,7 Prozent). Auch die Milieu- und Sozialstrukturen sind hier ausgeglichener: Einem sehr großen Anteil des prekären Milieus (29 Prozent) steht ein fast ebenso großer Anteil der Bürgerlichen Mitte (24 Prozent) gegenüber.

Sowohl die Anzahl der potenziellen Akademiker als auch der Menschen ohne Schulabschluss liegen zwischen den Extremwerten. Die Arbeitslosigkeit ist zwar fast doppelt so hoch wie in St. Jürgen, aber eben auch nur etwas mehr als halb so hoch wie in Moisling. Das Stadtbild wird überwiegend von mittelgroßen Wohnhäusern geprägt, allerdings sind auch kleinere Ein- bis Zweifamilienhäuser häufig vertreten.

Fazit

Die Wahlbeteiligung ist auch in Lübeck – wie in allen anderen untersuchten Großstädten Deutschlands – sozial gespalten. Während in sozial besser situierten Stadtteilen überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht ausüben,

ziehen sich in den ökonomisch schwächeren Vierteln viele Menschen aus der demokratischen Teilhabe zurück. Das Wahlergebnis der Bundestagswahl 2013 ist deshalb auch in Lübeck, gemessen an der Sozialstruktur der Bevölkerung, nicht repräsentativ.